Das Lyrikdebüt der Kölner Autorin
Jahrelang hat die Kölner Schriftstellerin Marie T. Martin, die unter anderem mit dem Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium ausgezeichnet wurde, nur in Anthologien und Literaturzeitschriften veröffentlicht – seit Anfang 2011 sind nun schon drei Bücher erschienen. Nach der Kurzgeschichtensammlung „Luftpost“ und der Erzählung „Vier Wände“ legt sie jetzt im Leipziger Poetenladen Verlag ihr Lyrikdebüt „Wisperzimmer“ vor.
Marie T. Martins Gedichte sind manchmal romantisch, oft subtil und voller Bilder- und Assotiationsreichtum. Auf Lesungen verbindet sie ihren Vortrag teils mit experimenteller Musik, lässt die Zuhörer mit geschlossenen Augen in ein Klangerlebnis eintauchen, entführt sie in eine Welt, die etwas Traumartiges, Surreales hat. Es lohnt sich, sich diese Gedichte – im Flüsterton – selbst vorzulesen, sich Zeit dafür zu nehmen, um sie nachzufühlen. Man darf sich hier ruhig von der Autorin bei der Hand nehmen lassen, sie entfaltet ihre Magie direkt in den Alltag hinein, dem Verkopften setzt sie das Verträumte entgegen.
Kunstvoll und sanft verwebt sie Eindrücke miteinander und macht das Unscheinbare im Alltäglichen sichtbar, lenkt den Blick auf die Dinge, die normalerweise übersehen werden, zelebriert die Schönheit von Lichtflecken auf einem Tisch, lauscht der Türangel, die immer anders klingt, je nachdem wer das Geräusch verursacht, lässt Hände ins Gras wachsen statt sie bloß danach greifen zu lassen.
„Unter Zwielichtdecken“ verbringt man im „Wisperzimmer“ melancholische Tage, dort, wo „alle Geschichten ein Rascheln“ sind, „blättrige Narben ohne Anfang / und Ende wo ist das Echo gelagert / wenn keiner mehr singt“. „Im Relief der Bettdecke“ liegt „Ausgefaltet der Körper“ und „alles passt in eine Faust / ein Linienplan / der das Ende verschweigt“. Es gibt ein Gedicht, das den Tenor des ganzen Buches gut auf den Punkt bringt. Darin heißt es: „Wir müssen nicht tun / als ob die Dinge sprechen / sie reden unentwegt“.
Kindliche Neugier verbindet sich hier mit der Abgeklärtheit des Lebens, ohne je den Sinn für das Besondere zu verlieren, das in jedem Staubkorn wartet. Über allem scheint ein Schleier zu liegen, über den das Lyrische Ich sanft mit der Hand streicht und die Wahrheiten darunter ertastet. „Wisperzimmer“ ist ein intensives Buch, das den Leser in seinem tiefsten Inneren erwischt und ein Jetzt erzeugt, das erlebt werden muss – in vollen Zügen, denn es trägt seine Vergänglichkeit in sich.
Gerrit Wustmann